Strasser Interview Teil 4

Veröffentlicht auf von Kulurschreiber

Tilman Strasser

Das hast du erzählt. Du hattest ja ältere Geschwister.

Raimund Bahr

Na ja, wahrscheinlich bin ich nicht zu Wort gekommen. In gewisser Weise bin ich ausgewichen. Mein Vater ist Kunstmaler, autodidaktisch angeeignet. Er malt seit fünfzig Jahren. Die Musik war nicht besetzt, also habe ich Gitarre gelernt, aber das war mir zu mühsam. Eines habe ich immer gewußt, wenn ich ein Instrument wirklich beherrschen möchte, muß ich Stunden um Stunden üben. Das war nicht meins. Ich bin immer gern spazieren gegangen. Ich bin auch ein unglaublich fauler Mensch. Wenn ich die Möglichkeit habe, acht Stunden in der Hängematte zu liegen, dann tu ich das. Selbst schreiben fällt mir dann schwer.

Das ändert sich nicht, oder?

Nein. Was ich wirklich gerne mache, ist denken. Das mache ich gerne und jederzeit und überall. Aber warum ich Schriftsteller geworden bin, hat sicher auch mit der Gegenbewegung zu meinem Vater zu tun. Ich hätte gar nicht Maler werden können. Ich male zwar, aber mit Öl, denn das ist seine Schwäche. Er malt Aquarelle und ist wirklich gut darin. Das muß man aber beherrschen. Da muß man wissen, was man tut. Öl ist ein schweres, träges Medium. Mit Öl kann man übermalen, da kann man zehn Schichten übereinanderlegen, da kann man mischen und tun, was man will. Bei der Verwendung von Öl muß man nicht malen können. Du kannst mit Farbkonstruktionen eine enorme Wirkung erzeugen, ohne daß du gegenständlich was zeigen mußt. Am Ende ist für mich nur die Sprache als künstlerische Ausdrucksform übriggeblieben. Sprache war immer etwas, das mich beschäftigt hat.

Letzlich sind es neben den biographischen Elementen aber auch zahlreiche Zufälligkeiten, die einen zum Künstler machen. Das finde ich spannend in Biographien: herauszufinden, warum wird jemand das, was er ist. Das ist bei dir mit einundzwanzig Jahren etwas schwierig, weil du dir selbst noch nicht über alle künstlerischen Anküpfungspunkte bewußt bist und sich das im Schreiben erst entwickelt. Erst wenn man einen gewissen Status als Autor für sich selbst festgestellt hat, beginnt man normalerweise über solche Dinge nachzudenken. Die Situation, in der wir beiden uns befinden, ist ja eher ungewöhnlich, denn so früh wird jemand normalerweise nicht befragt, weil sich die Leute denken, na ja, einen Einundzwanzigjährigen zu befragen macht keinen Sinn, der hat ja noch nichts erlebt. Das halte ich für unvernünftig. So eine frühe Befragung bietet ja  auch eine einmalige Gelegenheit, jemand von Anfang an zu begleiten und die Veränderungen in seinen Einstellungen zu verfolgen.

Ich habe das Gefühl, daß ich gerade erst den Punkt überschritten habe, wo ich die gröbsten Sachen verarbeitet und formulierbar gemacht habe. Es ist schon etwas seltsam, hier zu sitzen und Antworten zu geben, bei denen ich mich frage, werde ich das in fünf oder zehn Jahren noch genauso sehen. Kann es nicht sein, daß ich gerade enormen Unsinn erzähle? Es macht aber dennoch Sinn. Es ist wahrscheinlich auch ganz interessant, mal eine Bestandsaufnahme mit einundzwanzig zu haben, wo später an den jetzt gegebenen Antworten ersichtlich sein wird, daß manches noch unfertig und nicht zu Ende gedacht war.

So was ist natürlich immer im Fluß. Es kann ja nicht sein, daß du mit einundzwanzig Jahren weißt, woher alles kommt und wohin alles geht. Durch derartige Gespräche und deren Aufzeichnung hat man lediglich Momentaufnahmen zur Verfügung. Ich sehe das auch bei meinen Tagebüchern, die ich seit 1979 führe, heute schreibe ich nur noch Reisetagebücher, weil der Alltag einfach zu banal ist, um ihn festzuhalten. Auf Reisen passiert einfach etwas Spannendes und  da macht es Sinn, das zu notieren, was man sonst vielleicht vergessen würde, damit der ursprüngliche Eindruck erhalten bleibt. Vieles davon benutze ich dann auch in meiner literarischen Arbeit. Ich habe bis Anfang der neunziger Jahre regelmäßig Tagebuch geschrieben, und heute sehe ich, wie klug ich damals schon war und wie wenig ich darüber wußte. Wenn ich mir die Tagebücher durchlese und feststelle, wie genau ich beobachtet habe, was nicht funktionierte, und auch eine Einsicht darin hatte, aber wie unfähig ich dennoch war, etwas zu ändern oder zu bearbeiten, dann finde ich das total spannend. Deshalb finde ich solche Momentaufnahmen und Notizen sehr wichtig. Man stellt sich die Frage: Wieso weiß der soviel über sich selbst, der Fremde, der man damals war, und handelt nicht danach.

Man liest dann ein wenig wie in einem Buch.

Genau. Man liest die eigene Geschichte wie eine fremde Geschichte und denkt sich, wie blöd war man damals, daß man nichts dagegen unternommen hat, wieso man den Ereignissen so ausgeliefert war. Das ist sehr spannend. Und natürlich haben solche Momentaufnahmen eine für die Zukunft wichtige Bedeutung, denn wenn einer von den Autoren berühmt wird, hat man Material, mit dem man arbeiten kann. Und warum es noch wichtig ist, solche Notizen, Interviews und Tagebuchaufzeichnungen zu machen, ist, weil wir die zweite Generation sind, die nicht befragt wird. Wir wissen über unsere Generation kaum etwas und über deine schon gar nichts. Wir machen Interviews ja nicht mit Zwanzigjährigen, sondern meist mit Siebzig- oder Achtzigjährigen, eben retrospektiv. Da besteht  aber das Problem, daß sich die Menschen im Alter immer nur gefiltert durch ihre eigene Welterfahrung  an das erinnern, was gewesen ist. Es gibt nichts, woran man diese Erinnerung messen könnte. Wir  müssen sie nehmen, wie sie ist, weil wir keine früheren Aussagen haben und keine Entwicklungslinien festmachen können. Schriftstellerische Karrieren verschieben sich immer weiter nach hinten, weil die Leute später anfangen, da das bildungsbürgerliche Schreiben verschwindet. Somit gibt es wenig Informationen über die Anfangszeit. Sicher, du hast deinen ersten Versuch mit zwölf gehabt. Dort wollte ich ja eigentlich auch hin.

Warum hattest du diesen Impuls, das Buch von Michael Ende weiterschreiben zu wollen? Ich finde das einen tollen Einstieg ins literarische Arbeiten. Viele fangen mit Gedichten an oder mit Tagebüchern und daraus entwickelt sich dann mehr. Aber daß man ein Buch weiterschreibt und damit auch weiterdenkt, ist ja ganz im sartreschen Sinne die Tat eines mündigen Lesers, aus dem sich villeicht ja letztlich der mündige Autor entwickelt.

Ich glaube, es gab den Impuls der Mutter: Schreib doch mal was. Seit ich das einmal getan habe und mich in dieser Richtung weiterentwickle habe, kann meine Mutter eigentlich gar nicht mehr soviel anfangen mit dem, was ich schreibe. Sie liest es und redet gerne mit mir über Literatur, aber ein Impuls kam nicht mehr von ihr. Sie hat nie wie bei der Musik aktive Unterstützungen gesetzt. Sie wollte immer nur, daß ich Geige übe und besser werde. Vielleicht hatte das damit zu tun, daß sie von Musik mehr Ahnung gehabt und diese selbst aktiv betrieben hat. Geschrieben hat sie ja nicht. Beim Schreiben hat sie mich nie aktiv gefördert. Das hat mich auch immer ein wenig gestört. Aber immerhin, es gab diesen  einen Impuls.

Eigentlich war es eine ganz banale Überzeugung von mir: Das, was der kann, kann ich auch oder besser: das möchte ich auch können. Immer wenn ich ein Buch fertiggelesen hatte, dann erschien die Geschichte vor meinem inneren Auge und ich erkannte sofort die Dramaturgie.

Manchmal ist es ja auch so, daß man, wenn man etwas Neues erfährt oder lernt, es besser bewerten kann, weil man noch aufmersamer gegenüber den Details ist. So ging es mir beim Weiterschreiben von Geschichten. Ich wußte zwar nicht, was Dramaturgie bedeutet, aber ich hatte das Gefühl, so schwer kann das doch nicht sein. Naheliegend war dann, es selbst auszuprobieren. Und das wollte ich dann auch können. So einen Effekt kennt doch  jeder aus der Kindheit, wenn einer Musik hört, dann will er das auch können.

Nein, ich kenne das nicht aus meiner Kindheit. Vielleicht war ich noch fauler als du. Es setzt eine gewisse Bildung voraus. Schreiben ist auch eine Frage von Wissen und dem Wunsch, Wissen zu verarbeiten. Ich habe bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr nur Winnetou und Comics gelesen und erst dann den Steppenwolf von Hermann Hesse. Vielleicht entspringt das ja auch einer gewissen künstlersichen Konsumhaltung. Wenn man ein Instrument gelernt hat, wobei man der Reproduzent war, dann kann man natürlich auch versuchen in der Literatur der Reproduzent zu werden.

Vielleicht.

Weiß ich nicht, ist so eine Phantasie von mir. Ich habe vorher überhaupt keine musischen Begabungen gezeigt oder irgendeine Form von Kunst aktiv betrieben. Vielleicht hat man, wenn man früh mit künstlerischer Arbeit in Kontakt kommt, und das auf verschiedenen Ebenen, so wie du, eher die Tendenz und das Selbstbewußtsein zu sagen, das kann ich auch. Bei mir war der Impuls: Hermann Hesse. Er schrieb mit fünfzehn Jahren einen Brief an seine Eltern, in dem sinngemäß steht: Ich werde Schriftsteller oder gar nichts.

Ich habe mir gesagt, wenn der das kann, kann ich das auch. Da war nicht der Impuls, es nachmachen zu wollen, sondern es selbst machen zu wollen. Ich denke, das sind zwei verschiedene Konzepte, um das gleiche zu erreichen. Das hat was mit Lebens- und Selbstbehauptungsgeschichten zu tun. Ich glaube nicht, daß das jedes Kind hat, sondern daß da bestimmte Dinge zusammenwirken müssen, die einen dazu bringen zu sagen, das kann oder das will ich auch machen. Das sind nämlich zwei verschiedene Strategien.

In deinem Fall bezieht sich das Können und Wollen auf den Text, in meinem Fall auf die Position, ein Schriftsteller werden zu wollen. Will ich Schriftsteller sein oder will ich einen Text produzieren? Sicher hat das eine mit dem anderen zu tun. Bei mir war immer zuerst der Impuls zum Image des Schriftstellers und der zweite Impuls zur Textproduktion. Texte sind für mich ein Vehikel, um Intellektueller zu werden. Ich habe ja auch immer gesagt, ich möchte Intellektueller werden und nicht Schriftsteller. Für mich war das Berufsbild das Vorrangige. Vielleicht auch weil ich älter war – ich war damals schon siebzehn, also im vollen Berufsfindungsprozeß.

Mit zwölf kannst du mit dem abstrakten Begriff Schriftsteller noch gar nichts anfangen. Außerdem war das mit Michael Ende eine einmalige Aktion. Ich habe das im Urlaub geschrieben. Und ich wollte meine Mutter damit beeindrucken. Das ist mir auch gelungen. Das hat sich aber schnell abgenutzt, vielleicht auch deshalb, weil ich rasch die Lust daran verlor und das Erstaunen sich nicht jedes Mal in gleicher Weise eingestellt hat. Ich weiß nur noch, daß es so zehn bis fünfzehn A6 Seiten waren, die ich verteilt über zwei Wochen geschrieben habe. Ich sehe heute noch im Kopf die Skizzen und wußte damals schon, wie das Buch ausgehen sollte.

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