Strasser Interview Teil 6

Veröffentlicht auf von Kulurschreiber

Raimund Bahr

Es wird aber grundsätzlich immer schwieriger, weil der Markt solche Karrieren kaum noch zuläßt. Was würdest du sagen, wo liegt der Unterschied in der Textkritik zwischen den Schreibschulen und den Strobler Literaturtagen? Bei den Strobler Literaturtagen, die jedes Jahr im August stattfinden, gibt es ja auch so etwas wie kontinuierliche Textkritik.

Tilman Strasser

Es ist sehr ähnlich. Unsere Lektorate verlaufen allerdings strenger, mit mehr Regeln. Der Autor darf gar nichts sagen, es gibt kaum Diskussionen. Zuerst wird einmal reihum gesagt, was gut und was schlecht ist. Was mich stört ist, daß kaum gesagt wird, was an einem Text gut ist. Das macht ihr in Strobl und das ist gut so. Daß man vielleicht auch mal gesagt hat, das ist ein wunderbarer Text, das ist ein schöner Einfall oder eine tolle Idee, das höre ich zwar in Hildesheim auch manchmal, aber dort geht es schneller mit dem Messer zur Sache. Wir filetieren unsere Texte gerne.

Na ja, schließlich müßt ihr euch als Autoren und Autorinnen auch positionieren und profilieren.

Es ist auch ein Konkurrenzspiel. Klar.

Das haben wir hier in Strobl nicht notwendig, weil wir keine Konkurrenten auf einem zukünftigen Markt sind. Wir müssen dem Professor nicht gefallen. Im Gegenteil, eines der Kriterien, um hier weiter mitmachen zu dürfen, ist, daß wir nicht mit den Messern aufeinander losgehen. Ich hab das selbst auch bei anderen Autoren und Dramaturgen gelernt, die das konnten. Die waren imstande einen Text auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Die große Kunst ist es ja, einen Text zu zerlegen und dann zu sagen, ich setze ihn wieder zusammen und dann mach damit, was du für richtig hältst. Das Wesentliche ist dabei immer noch der Autor, seine Position zum Text, sein Wollen mit dem Text, nicht das, was andere mit dem Text tun würden. Sollen die doch eigene, andere Texte schreiben.

Das ist aber ein unglaublich schmaler Grad, gerade wenn man mit einem Text sehr verbunden ist, zu wissen, welche Kritik bringt mir etwas und welche nicht. Denn es gibt an vielen Texten subjektiv etwas auszusetzen. Zum Beispiel der Text, den ich beim Seeschreiberbewerb eingeschickt habe, den habe ich zwei Leuten zu lesen gegeben, von denen ich vorher wußte, wie sie kritisieren und was sie wahrscheinlich am Text auszusetzen haben werden. Ich wollte aber selbst von Stelle zu Stelle entscheiden, ob ihre Kritik Sinn macht oder nicht. Eine schreibt selbst sehr lyrisch und achtet sehr auf Sprachmelodie und Sprachfluß. Ich wußte, sie würde manche meiner Stellen als holprig klassifizieren, die aber von mir bewußt holprig gesetzt wurden. Das ist in den Textwerkstätten die Schwierigkeit, einzuschätzen: ist die Kritik, die da kommt, so subjektiv, daß sie mir als Autor nichts nützt, oder ist sie so präzise am Text, daß ich sie unbedingt wahrnehmen muß  und mich selbst zurücknehme, um dem Text zu nützen.

Weil du gesagt hast, es gibt diese großen Schriftstellerkarrieren nicht mehr. Würdest du aus deiner subjektiven Beobachtung sagen, das hat was mit dem Markt oder mit der Entwicklung von Autorenkarrieren zu tun?

Ich glaube, das hat primär mit dem Markt zu tun. Ich habe gezögert, weil ich dachte, vielleicht sehen wir mit unserem antiquierten Autorenbegriff bestimmte Entwicklungen gar nicht und entdecken so manchen Autor erst, wenn er tot ist. Ich glaube, daß es den klassischen Autorentyp nach wie vor gibt, daß der Markt aber nicht mehr unbedingt auf ihn fixiert ist.

Ich meine, der Markt, so wie ich ihn in Deutschland sehe, hat viele one-hit-wonders wie in den Musikcharts. Es gibt viele Schriftsteller, die nur ein, zwei Bücher schreiben, die auf eine bestimmte Art provozieren, dann aber rasch verbraucht sind. Das hat mit der klassischen Autorenbiographie nicht viel zu tun. Der klassische Autor ist der große Erzähler. Da würde mir Daniel Kehlmann auffallen, der sich in diese Richtung entwickelt. Glawinic, das wäre auch einer. Das ist zum Beispiel ein Autor, der die Prinzipien des Marktes erkannt hat. Der schreibt jedes Buch in einem anderen Stil. Er ist wandelbar wie ein Chamäleon. Ich weiß nicht, ob er ein großer Autor ist, aber er ist unglaublich intelligent. Er ist, finde ich, der Prototyp des modernen Schriftstellers, wobei, wenn es zu viele davon gäbe, würde es wieder seinen Reiz verlieren.

Was mich zur nächsten Frage führt: Du hast dich ja noch nicht entschieden Autor zu werden. Obschon Kulturjournalismus auch eine Art von Autorenschaft ist. Aber hier geht es ja um die Produktion von Literatur, die natürlich an der Nahtstelle zum Kultujournalismus in der Essayistik in Literatur mündet. Wenn du dir nun vorstellst, du möchtest ein Autor werden, wie würdest du dich positionieren? Vor allem heute, wo wir uns alle in einem multimedialen Markt befinden, in der Vielfalt, die ein solcher multimedialer Rahmen bietet, wo würdest du dich da positionieren? Wenn du ein Autorenbild für dich zeichnen müßtest, was würde das für dich beinhalten, was würdest du gerne als Autor machen?

Ich sehe mich gerade in einem Prozeß, wenn der weitergeht, dann steuert der auf folgendes zu, nämlich auf das Zusammenspiel von Musik und Literatur. Ich fange an zu komponieren, ich habe das, ähnlich wie beim Schreiben, auch immer wieder gemacht, aber nie intensiv verfolgt. Es ist weitaus schwieriger für mich.

Ich habe das Gefühl, daß ich mit Sprache wesentlich intuitiver umgehen kann als mit Noten. Mit Musik selbst kann ich im Kopf intuitiv umgehen, aber das Notensystem ist doch schwieriger als das orthographische. Ich habe im letzten Semster in Hildesheim angefangen das auszuprobieren. Dort habe ich auch erstmals selbst Literatur für bestehende Musik produziert. Jetzt möchte ich es noch andersrum probieren, Musik für bestehende Literatur komponieren, und irgendwann soll das dann zu einem Gesamtkunstwerk zusammenlaufen. Ich finde, daß sind völlig verschiedene Ausdrucksformen. Es entsteht etwas vollkommen Neues, wenn beide Kunstformen zusammenspielen.

Wenn ich an Musik und Text denke, habe ich sofort Lieder im Kopf. Das muß es ja nicht sein. Was heißt es für dich, Musik und Literatur zusammenzubringen?

Lieder sind für mich mehr Musik als Literatur. Ich achte nicht auf den Text.

Reden wir von klassischer Musik?

Wir sind in der E-Musik. Nehmen wir z.B. die Schneegeschichte, die ich für den Wettbewerb geschrieben habe. Das ist für mich ein eigenständiger Text. Ich habe schon versucht, für diesen eigenständigen Text eine Musik zu komponieren, die separat aufgeführt werden kann. Es müßte zwar nacheinander gespielt werden, aber durch die Tatsache, daß sie gemeinsam aufgeführt werden, könnte es natürlich zu einem besonderen Spannungsmoment kommen. Dennoch könnten beide Kunstwerke autonom existieren. Vielleicht gibt es ja an der Schwelle zwischen Text und Musik ein interessantes Moment, wodurch etwas Neues entsteht.

Ich bin ja sehr konservativ in dieser Hinsicht. Ich bin kein Musiker und verstehe von Musik wenig. Was ich mir noch einigermaßen vorstellen kann, ist Text und Bild zusammenzubringen.

Das wiederum kann ich mir kaum vorstellen.

Was ich mir auch noch vorstellen kann, ist bestehende Musik und ein Bild zusammenzubringen, daß man einem Film eine Musik oder einen Text unterlegt. Das ist meine antiquierte Form damit umzugehen. Ich stelle mir das, entschuldige den Ausdruck, banal vor: jemand liest einen Text und dazu spielt eine Musik. Ist das so gemeint?

Wir spielten mit unserem Trio Schostakowitsch. Ich fand diese Musik unglaublich abstrakt und merkwürdig, irgendwie versponnen, aber auch analytisch. Nachdem ich mich aber daran gewöhnt hatte, fand ich sie unheimlich toll. Ich schrieb eine Geschichte dazu, wo Schostakowitsch im Museum ist. Die Geschichte gefällt mir heute nicht mehr. Damals wollte ich aber zeigen, wie abstrakt die Bildende Kunst in diesem Museum ist, und gleichzeitig das ähnliche Vokabular in der Bildenden Kunst und der Musik betonen. Die Komposition der Farben und der Farbtöne. Praktisch sieht das so aus, daß ich den Text davor lese und einfach sage, daß das zusammengehört.

Das ist aber eine sehr traditionelle Auffassung der Verbindung von Musik und Text. Es gibt ja Künstler, die Musik mit Textelementen verbinden, indem sie Musik und Text zu einem eigenständigen Kunstwerk montieren.

Ehrlich gesagt, verstehe ich das selten. Ich weiß, was du meinst, aber ich halte das für schwierig. Vielleicht werde ich ja noch einmal bekehrt.

Das ist dann aber zumeist auch experimentelle Literatur, die das Erzählen einer Geschichte aufgibt. Es ist eine Möglichkeit, das Erzählen im klassischen Sinne zu brechen, zu verfremden. Das muß einen aber interessieren, und es muß über Jahre hinweg entwickelt werden. Ich glaube auch nicht, daß das so einfach ist, wie sich das die Leute vorstellen. Eigentlich mußt du beide Sprachsysteme, das der Musik und das der Literatur im Griff haben, sonst kannst du die beiden gar nicht zusammenbringen. Was mir dazu einfällt: Bilder einer Ausstellung von  Musorgsky. Er versucht die Bilder, die man nicht sehen kann, musikalisch umzusetzen. Das, finde ich, sind schwierige Dinge. Hörer und Leser haben ja den Text nicht vor Augen, wenn sie die Musik hören oder den Text lesen. Das muß dann entweder auf einer CD mitgeliefert oder auf einer DVD sichtbar gemacht werden.

Ich finde es heute schwierig, musikalische Ausdrucksformen und gleichzeitig den Text wahrzunehmen. Vielleicht war man aber früher auch besser daraufhin geschult.

Interessiert dich eigentlich der klassische Autor, der Schriftsteller als Person, der die Welt beobachtet, sie beschreibt und versucht sie zu interpretieren.

Natürlich schon.

Das ist allerdings ein sehr intellektueller Ansatz.

Na ja, das macht ja nichts. Was ich im Zusammenhang mit anderen Autoren immer spannend fand, ist, wie definiert, woran orientiert sich ein Autor. Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Meine These war immer, wenn ich Musik mache, muß ich mich an den großen Musikern orientieren; wenn ich Schriftsteller werden möchte, muß ich mich an den großen Autoren orientieren. Das heißt nicht, daß ich mich stilistisch an diese anlehnen muß. Es geht eher um die Frage: Was will ich erreichen? Nicht innerhalb des Marktes, sondern bei der Themenentwicklung. Ich will mich der Brillianz anderer Autoren annähern. Da gibt es eben den Unterschied zwischen den Autoren, die sich damit begnügen, in der regionalen Vermittlung von Literatur tätig zu sein, was ja auch wichtig und notwendig ist, und denen, die einen Bekanntheitsgrad anstreben, der sich nicht nur ökonomisch, sondern auch künstlerisch vermittelt. Die Person des Autors auch als Lebensform anzunehmen ist schon etwas anderes, als nur einfach zu schreiben. Hermann Hesse hat einmal gesagt, Schriftseller kannst du nicht werden, sondern nur sein, weil der Prozeß des Werdens nicht vermittelbar ist, der gilt in unserer Gesellschaft nichts. Schaffst du es nicht, dann bist du eine verkrachte Existenz, schaffst du es, bist du ein Held, weil du dich durchgekämpft hast. Wäre das eine Position, die du jenseits der Musik für dich in Betracht ziehen könntest, diese Haltung eines Intellektuellen einzunehmen, der einen Entwurf für sein Dasein als Autor hat?

Das ist eine schwierige Frage. Ich schrecke zumindest davor zurück, das für mich auszuschließen. Ich würde nicht sagen, daß ich damit zufrieden wäre, einfach nur meine Bücher zu schreiben und auf dem Literaturmarkt abzuliefern. Ich sehe mich nicht so sehr als politischen Autor.

Na ja, du verhältst dich aber so. Du mischt dich ein, was sich bei den Strobler Literaturtagen ganz deutlich gezeigt hat. Du beziehst zu politischen Themen Stellung.

Wenn man den Politikbegriff sehr weit faßt, dann habe ich natürlich auch ein politisches Verhältnis zur Welt. Ich meine, das zeigt sich ja in jeder sozialen Interaktion. Ich habe aber Schwierigkeiten, mein Schreiben als politisch zu bezeichnen, deshalb habe ich auch Schwierigkeiten mit dieser Frage nach der Autorenposition oder eine gesellschaftliche Instanz zu werden.

Poltische Position heißt ja nicht unbedingt nur politische Texte zu produzieren. Ich versuche darüber zu reflektieren, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten und das auch im Text umzusetzen. Was nicht heißt, daß jeder Text ein politisches Manifest werden muß. Ich denke auch, daß eine gute Erzählung sich dadurch auszeichnet,  daß sie eine politische Position wiederspiegelt, eine allgemeingültige Aussage über die Situation des Menschen in der Welt trifft.

Vielleicht ist das ja auch der tiefere Grund, der mich antreibt bei meinem Schreiben, eine solche Aussage über die Welt und den Menschen zu treffen.

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